Vom Pud­ding lernen?

Vom Pud­ding ler­nen? Ener­gie­ver­trieb aus der Sicht der Markenartikel-Branche.

Oder von Müs­li oder Hand­ge­schirr­spül­mit­tel? Mög­li­cher­wei­se emp­fin­den Sie die­sen Ver­gleich als weit her­ge­holt, schließ­lich gibt es ande­re Bran­chen, die eine grö­ße­re Ähn­lich­keit zum Strom- und Erd­gas­ver­kauf auf­wei­sen, den­ken wir bei­spiels­wei­se an Telekommunikation.

Aber: Vie­le Inno­va­tio­nen und Erfol­ge sind dem „Blick über den Tel­ler­rand“, der so genann­ten Cross-bor­der-Inno­va­ti­on zu ver­dan­ken – viel­leicht kön­nen wir vom Tel­ler der Mar­ken­ar­tik­ler ein wenig „naschen“…

War­um gera­de Markenartikel?

Ver­trieb und Mar­ke­ting der Ener­gie­wirt­schaft sind vor allem durch die Jah­re der Libe­ra­li­sie­rung nach 1998 geprägt; Mar­ken­ar­tik­ler muss­ten sich aber von Beginn an im Wett­be­werb behaup­ten – und die Geschich­te vie­ler Mar­ken­ar­ti­kel begann schon im 19. Jahr­hun­dert! Die meis­ten Mar­ken­ar­ti­kel sind zudem so genann­te fast moving con­su­mer goods, Güter des täg­li­chen Bedarfs mit einer hohen, zum Teil, täg­li­chen Kauf­fre­quenz. Heißt für den Her­stel­ler: Ein Kun­de kann sich bei­na­he täg­lich neu für oder gegen das Produkt/die Mar­ke ent­schei­den, ein ande­res Pro­dukt aus­pro­bie­ren und sei­nem bis­he­ri­gen Anbie­ter den Rücken kehren.

Dazu kommt eine sehr hohe Inno­va­ti­ons­ra­te: Pro Jahr wer­den für den Lebens­mit­tel-Ein­zel­han­del (LEH) ca. 10.000 neue EAN’s ver­ge­ben (Euro­pean Artic­le Num­ber). Bei den Nah­rungs­mit­teln kom­men pro Jahr ca. 1.800 bis 2.000 Pro­dukt­in­no­va­tio­nen in den deut­schen LEH, kon­kur­rie­ren um den Platz im Super­markt­re­gal und um die Kun­den. Die Flo­pra­te liegt bei etwa 70 %! Die Fol­ge: Der Mar­ken­ar­ti­kel­ma­na­ger arbei­tet in einem ganz ande­ren Para­dig­ma, als es Ener­gie­wirt­schaft­ler / Stadt­wer­ker bis vor eini­gen Jah­ren kann­ten und gera­de weil dies so ist, lohnt es sich, einen Blick auf die­se wett­be­werbs­in­ten­si­ve Bran­che zu werfen.

Gro­ße Unter­schie­de zwi­schen den Branchen

Neben Kauf- und Inno­va­ti­ons­fre­quenz, sowie Wett­be­werbs­in­ten­si­tät gibt es noch eine Rei­he wei­te­rer Unter­schie­de: Mar­ken­ar­ti­kel sind i. d. R. phy­sisch und wer­den über­wie­gend im LEH ver­kauft, sind damit, wie der Fach­aus­druck lau­tet „ubi­qui­tär“, also nahe­zu über­all erhält­lich. Ihr „Ver­sor­gungs­ge­biet“ umfasst meist ganz Deutsch­land, teil­wei­se Euro­pa und bei Coca Cola sogar die gan­ze Welt. Heißt: Wir haben es mit ganz ande­ren Ska­len­ef­fek­ten zu tun. Vie­le Instru­men­te aus der Werk­zeug­kis­te der Mar­ken­ar­tik­ler wären für einen loka­len Ver­sor­ger über­di­men­sio­niert  – jedoch nicht für die gro­ßen Ener­gie­un­ter­neh­men, deren Kun­den­zah­len sich in ähn­li­chen Grö­ßen bewegen.

Was kön­nen wir von den Mar­ken­ar­tik­lern lernen?

Der Mar­ken­ar­tik­ler ver­kauft sei­ne Ware an ein meist anony­mes Publi­kum, er kennt den Käu­fer sei­ner, z. B. Mar­me­la­de, nicht per­sön­lich. Anders im Ener­gie­be­reich: Wir haben einen direk­ten Zugang zu den Kun­den. Nun soll­te man mei­nen, mit dem direk­ten Kon­takt wür­den wir unse­re Kun­den bes­ser ver­ste­hen, als z. B. Schwar­tau einen belie­bi­gen Mar­me­la­de­nesser. Vor allem, da eini­ge der Kun­den sogar einen per­sön­li­chen Kon­takt im Kun­den­zen­trum haben. Dem ist m. E. lei­der häu­fig nicht so. Trotz der gro­ßen Fort­schrit­te, die im Ener­gie­mar­ke­ting der letz­ten 15 Jah­re gemacht wur­den, blei­ben Mög­lich­kei­ten ungenutzt.

Kun­den­da­ten wur­den (vor allem vor dem Wett­be­werb) viel­fach nur lücken­haft gepflegt, las­sen zwar Belie­fe­rung und Able­sung zu, sind aber als Basis für eine akti­ves Kun­den­ma­nage­ment zu dürf­tig. Wer kennt nicht nach­läs­sig aus­ge­füll­te Inbe­trieb­set­zungs­mel­dun­gen oder stellt fest, dass Produkt/Tarif und Last­pro­fil nicht zuein­an­der pas­sen? Aber auch ein CRM ist noch nicht bei allen Ver­sor­gern instal­liert, ziel­füh­rend aus­ge­prägt und aktiv genutzt.

Zwar hat ein Mar­ken­ar­tik­ler meist kei­nen per­sön­li­chen Kun­den­kon­takt; den­noch kennt er sei­ne Kun­den und Ziel­grup­pen sehr gut und ver­steht deren Ein­stel­lun­gen und Moti­va­tio­nen. Wie ist das mög­lich? Mar­ken­ar­tik­ler inves­tie­ren in gro­ßem Umfang in Markt­for­schung aller Art. Sie ver­fü­gen über Han­dels- und Ver­brau­cher­pa­nels mit denen sie sich ein kla­res Bild über die Situa­ti­on ihrer Pro­duk­te im Han­del und bei den Ver­brau­chern ver­schaf­fen. Sie nut­zen Mar­ken- und Wer­be­mo­ni­to­re in kur­zen Abstän­den, z. T. monat­lich, um die Leis­tungs­aus­sa­gen (key bene­fits) ihrer Mar­ken und die Wer­be­wir­kung zu mes­sen. Sie beob­ach­ten ihre Mar­ken in den sozia­len Medi­en. Vor allem aber set­zen Sie auf qua­li­ta­ti­ve For­schun­gen, um ihre Kun­den zu ver­ste­hen, um – neu­deutsch – so genann­ten „Con­su­mer Insights“ zu gewinnen.

Wie sieht es in der Ener­gie­wirt­schaft bzw. bei den Stadt­wer­ken mit der Infor­ma­ti­ons­ge­win­nung über Kun­den und Ziel­grup­pen aus?

Gro­ße Ener­gie­un­ter­neh­men ver­wen­den bereits seit län­ge­rem ver­schie­de­ne Markt­for­schungs­in­stru­men­te – ande­re, z. T. klei­ne­re Ver­sor­ger betei­li­gen sich an Gemein­schafts­stu­di­en. Die Vor­tei­le: Bezahl­bar­keit, Stan­dar­di­sie­rung und Ver­gleich­bar­keit – Bench­mar­king – man weiß, wo man im (anony­men) Ver­gleich mit ande­ren EVU steht. Aber lei­der weiß man oft nicht, war­um man von den Kun­den die­se Bewer­tung erhal­ten hat. Typi­scher­wei­se ent­hal­ten sol­che Stu­di­en stan­dar­di­sier­te Pola­ri­tä­ten-Pro­fi­le mit Inhal­ten wie „Infor­ma­ti­ons­qua­li­tät“, „Preis­wür­dig­keit“ oder z. B. „Ser­vice­qua­li­tät“; zer­legt in Aus­sa­gen, denen die Befrag­ten auf einer Ska­la von 6 oder 10 Stu­fen von „Trifft voll“ bis „Trifft über­haupt nicht zu“ zustim­men sol­len. Die Begrün­dun­gen für sol­che Ein­stu­fun­gen fal­len aber — je nach Stu­di­en­an­la­ge — durch das Ras­ter bzw. wer­den mit geschlos­se­nen Fra­ge­bö­gen und bei den häu­fig für sol­che Stu­di­en übli­chen Tele­fon­in­ter­views nicht erfasst.

In der Pra­xis sind Stadt­wer­ke-Mana­ger dann oft über­rascht, mit wel­chen Vor­stel­lun­gen und Mei­nun­gen selbst ver­meint­lich gut infor­mier­te Ziel­grup­pen, wie Gewer­be­trei­ben­de, ihrem Stadt­werk begeg­nen. Vie­le der für uns selbst­ver­ständ­li­chen „Stan­dards“ von Ener­gie­lie­fe­rung sind für Kun­den immer noch miss­ver­ständ­lich und Anlass für eine nega­ti­ve Beur­tei­lung. Den­ken wir nur an die durch staat­li­che Abga­ben und Umla­gen getrie­be­nen Strom­prei­se. Aber auch Bin­de­fris­ten für Strom­preis-Ange­bo­te wer­den mit Kopf­schüt­teln quit­tiert, weil den gewerb­li­chen Kun­den das Ver­ständ­nis für Preis­bil­dungs­me­cha­nis­men fehlt.

Wel­che qua­li­ta­ti­ven Markt­for­schungs­in­stru­men­te, die bei Mar­ken­ar­ti­keln eine brei­te Ver­wen­dung fin­den, könn­ten denn nun kon­kret auch für einen Ener­gie­ver­sor­ger „erhel­len­de“ Ein­sich­ten in die tat­säch­li­chen Beweg­grün­de der Ver­brau­cher lie­fern? Hier eini­ge Beispiele:

  • Durch Exper­ten mode­rier­te Grup­pen­dis­kus­sio­nen mit Ziel­grup­pen-Mit­glie­dern – auch unter Ein­satz von wei­te­ren Explo­ra­ti­ons­tech­ni­ken, wie z. B. gelenk­ter Tag­träu­me oder dem Anfer­ti­gen von Zeichnungen.
  • Tie­fen­psy­cho­lo­gi­sche Ein­zel­in­ter­views (z. B. der mor­pho­lo­gi­schen Markt- und Meinungsforschung).
  • Eth­no­gra­phie (die teil­neh­men­de Beob­ach­tung des Ver­brau­chers in sei­ner rea­len Lebens­um­welt bzw. bei der Produktnutzung).
  • Aus­wer­tung der Mei­nungs­äu­ße­run­gen im Social Web.
  • Mode­rier­te Kun­den­fo­ren, die gleich­zei­tig der Kon­takt­in­ten­si­vie­rung und der Infor­ma­ti­ons­ge­win­nung dienen.

Der­ar­ti­ge For­schungs­kon­zep­te erlau­ben es, ein tie­fe­res Ver­ständ­nis für Moti­va­tio­nen und Ver­hal­tens­wei­sen zu gewin­nen. Plötz­lich ver­steht man, war­um ein Ver­sor­gungs­un­ter­neh­men bei­spiels­wei­se trotz güns­ti­ger Ener­gie­prei­se und gutem Ser­vice den­noch schlecht beur­teilt wer­den kann. Und: Sie ent­lar­ven die oft nicht ehr­lich beant­wor­te­ten Fra­gen (sozi­al erwünsch­te Ant­wor­ten). Den­ken Sie nur ein­mal an Aus­sa­gen zur Häu­fig­keit von Fast-food-Kon­sum. Wären die Ant­wor­ten der Befrag­ten hier nur nähe­rungs­wei­se wahr­heits­ge­mäß, könn­ten vie­le Imbiss-Stu­ben und Fast-food-Ket­ten schließen!

Auch klei­ne Ener­gie­ver­sor­ger kön­nen von qua­li­ta­ti­ver Markt­for­schung profitieren

In mei­ner Berufs- und Bera­tungs­pra­xis habe ich sol­che Instru­men­te für Ener­gie­un­ter­neh­men ein­ge­setzt – auch für kom­mu­na­le Ver­sor­ger. Aller­dings gilt es genau abzu­wä­gen, mit wel­chem Werk­zeug man sich einem Infor­ma­ti­ons­pro­blem nähert. Tie­fen­psy­cho­lo­gi­sche Ein­zel­ex­plo­ra­tio­nen in aus­rei­chen­der Fall­zahl sind zwar sehr aus­sa­ge­fä­hig aber eben auch teu­er. Aber bereits ein oder zwei Grup­pen­dis­kus­sio­nen, die für eine über­schau­ba­re Inves­ti­tio­nen zu rea­li­sie­ren sind, lie­fern häu­fig bereits nütz­li­che und über­ra­schen­de Erkennt­nis­se. Auch ein klei­nes Stadt­werk kann der­ar­ti­ge For­schun­gen nutzen.

Dies gilt übri­gens nicht nur für die klas­si­schen Pro­duk­te eines Ener­gie­lie­fe­ran­ten bzw. Stadt­werks. Auch vie­le neue Dienst­leis­tun­gen und digi­ta­le Geschäfts­mo­del­le kön­nen davon pro­fi­tie­ren. Der Grund: Vie­le Ideen sind getrie­ben durch Tech­nik oder durch ver­mie­de­ne Abga­ben und – meist erklä­rungs­be­dürf­tig! Den­ken Sie aber dar­an: Selbst ein­fa­che Pro­duk­te tun sich am Markt schwer, wenn sie und ihre Nut­zen nicht rich­tig ver­mit­telt wer­den. Ist etwa Markt­füh­rer Pam­pers von Proc­ter & Gam­ble Erfin­der der Weg­werf­win­del? Nein. Schon vie­le Jah­re vor­her brach­te der Wett­be­wer­ber John­son & John­son die ers­te Weg­werf­win­del auf den Markt. Der Erfolg war ver­schwin­dend. Erst Pam­pers gelang es in den USA die Kon­su­men­ten zu über­zeu­gen und wur­de mit einem Markt­an­teil grö­ßer 90 % belohnt!

Machen wir es also den Mar­ken­ar­tik­lern nach und erfah­ren wir, was unse­re Kun­den wirk­lich bewegt. Vie­le Flops aus ande­ren Bran­chen zei­gen näm­lich: Es ist nichts so teu­er, wie feh­ler­haf­tes oder unvoll­stän­di­ges Ver­ständ­nis der Kun­den und Zielgruppen.

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